[MWS]: Noten am Bildschirm von Symphonikern

Michael Puchbauer MPuchbauer at t-online.de
Fre Feb 18 11:10:13 CET 2000


Liebe Liste,

wie im Artikel des Spiegel Online
(http://www.spiegel-online.de/kultur/musik/0,1518,64224,00.html<link>; ein
Hinweis von Matthias Hornschuh über Muwispektrum) zu lesen, hält der
Computer nun als "Notenpapier" Einzug in eine ansonsten weitgehend 
analoge Domäne, dem klassische Orchester. Anstelle von herkömmlichen 
Notenpapieren erscheinen also die Noten nun auf dem Bildschirm eines 
Laptops, das Blättern des virtuellen Blattes erledigt nun der Fuß per
foot-switch.
Vorbei sind damit die klitze-kleinen Blätterpausen an den Doppelpulten
der Streicher und das Rauschen im Blätterwald (das wohl nie mehr als ein
seltenst zu vernehmendes Säuseln war) hat damit ein Ende.

Ist diese Substitution nun ein Fortschritt ? (Bei aller Problematik dieses
Wortes)

Bezüglich der Nebengeräusche jedenfalls nur, wenn der Fußklick (sowohl
das Klicken des Mechanismus wie auch das Treten des Schuhs auf den Schalter)
nicht hörbar ist, ansonsten wäre kaum von einem Fortschritt zu reden.

Spannender ist wohl in jedem Fall die Frage nach dem Einfluss auf das
Musizieren
selbst. Wie sieht es beispielsweise aus mit Eintragungen in die Noten ?
Hierbei sind
sowohl Interpretationswünsche des Dirigenten zu bedenken als auch
individuelle 
"Merkhilfen" von Musikern. Geschieht dies auf einer besonderen interaktiven
Oberfläche mit virtuellem Bleistift, oder muss per Tastatur ein Programm
bedient
werden (wie beispielsweise bei Capella Akzente über Noten durch entsprechenden
 Button erstellt werden können) ? Letzteres wäre wohl aus zeitlichen
Gründen kaum 
akzeptabel, man stelle sich nur einmal die Probenarbeit vor ...

Auch (empirisch) zu klären wäre die Frage nach dem Einfluss des Lesens vom
Bild-
schirm anstelle von Notenpapier. Aus Untersuchungen über das Korrekturlesen
von
Texten weiß man, dass am Bildschirm weniger Fehler gefunden werden als auf
dem 
"harten" Papier. Mehr noch: mit zunehmender Helligkeit des Bildschirms
nimmt die 
Quote des Auffindens von Fehlern ab.
Sind hier also ähnliche Effekte auf das Spielverhalten von Musikern zu
erwarten ?
Leidet die Qualität des Spiels ? 
(Ganz zu schweigen von physiologischen Problemen der "Bildschirmarbeit")

Ein weiterer (zugegeben recht spekulativer) Aspekt könnte die
(langfristige) Auswirkung
vorhandenen digitalen Notenmaterials auf transponierende Instrumentalisten
sein.
Trompeter müssen beispielsweise ständig transponierend Spielen, nach B, nach
Es und F und A - um nur die gängigsten zu nennen. Hier könnten digitale
Noten zwar das Transponieren erleichtern und jedem Musiker die ihm angenehmste
Notation bereitstellen (Trompeter spielen beispielsweise mit der B-Trompete
gern in B),
das könnte allerdings negative Trainingseffekte haben, und zwar dann, wenn 
wieder irgendwann mit herkömmlichen Notenmaterial musiziert werden muss (aus
welchen Gründen auch immer). Hier könnte also Bequemlichkeit langfristig
zum Verlust
von Kompetenzen führen.

Wie sehen andere dies ?

Grüße

Michael Puchbauer
 
Michael Puchbauer

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49084 Osnabrück	
Tel: 0541 / 70 87 71 (nach tel. Anmeldung auch Fax)

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