[MWS]: Zur Diskussion gestellt....

Dr. Joachim Stange-Elbe jstangee at rz.Uni-Osnabrueck.DE
Die Nov 3 15:00:51 CET 1998


3. 11. 1998

Bericht über den "internationalen Kongreß der 'Gesellschaft für
Musikforschung'" (GfM) in der FAZ von 3. 11. 1998

Eine Erwiderung 


Den fast schon liebevoll anmutenden Anmerkungen des Autoren der FAZ und
Kongressreferenten ACHIM HEIDENREICH kann ich mich als aktiver Teilnehmer des
Kongresses in keiner Weise anschliessen, war doch die Kluft zwischen
systematischer und der allmächtig daherkommenden deutschen historischen
Musikwissenschaft mehr als unüberbrückbar.


Hierfür sprechen zunächst einmal rein drei statistische Tatsachen:

1. Von den ca. 150 gehaltenen Referaten waren nicht einmal 10% (!) der
systematischen Musikwissenschaft zuzuordnen.
2. Das Symposium "Computeranwendungen in der Musikwissenschaft" kam nur auf
Drängen der Fachgruppe Studierende und Dachverband der Studierenden der
Musikwissenschaft zustande (und wurde nur von ohnehin "schon Erreichten" frequentiert).
3. Die Musikpsychologie war zm ersten Mal innerhalb eines eigenständigen
Symposiums auf einem GfM Kongress vertreten.


Die Feststellung, dass es

> in einer immer unüberschaubareren Welt der Bedarf an
> einer ordnenden und bewertenden Vorinstanz für all das, was als Musik
> daherkommt 

bedürfe, kann nur begrüsst werden, allerdings kann der Autor der FAZ hier
nicht die GfM gemeint haben: das Feigenblatt "Musikalische Jugendkulturen"
täuscht nur zu leicht über die so gut wie überhaupt nicht wissenschaftlich
fundierte und institutionalisierte Beschäftigung mit der sog. abschätzig
diffamierten "nicht artifiziellen Musik" hinweg.


Ebenso war von einer 

> Öffnung der historischen zur systematischen Musikwissenschaft

wenig bis fast garnichts zu bemerken. Sie wäre jedoch bitter nötig.


Von der eher am Rande erwähnte Forderung von

> Ludwig Finscher ... in
> seinen "Bemerkungen zur Lage der deutschen Musikwissenschaft" mit Blick
> nach Amerika: Dort ist die Verbindung beider in  Richtungen zum Standard
> der Institute geworden

war in den nachfolgenden Tagen wenig, ja eigentlich nichts zu spüren.
Statt Berichten US-amerikanischer Wissenschaftler über ihre neuesten
Forschungsergebnisse, beschäftigte man sich auf diesem internationalen
Kongress ausführlich mit den deutschen musikalischen Kulturlandschaften.


Einer von der FAZ nicht erwähnten beiläufigen Erwähnung Finschers "zwar sind
Computerkurse für Musikwissenschaftler peripher" stand die Forderung nach
"Notationskursen" und die Rückbesinnung auf die Musik des 17. Jahrhunderts
gegenüber. Und bei den von Finscher zurecht gewürdigten freien, sich selbst
finanzierenden oder über öffentliche Zuschüsse existierenden Instituten
fehlten diejenigen, die sich mit elementaren Fragen und aktuellen
grundlegenden musikalischen Problemen und Forschungen auseinandersetzen (ich
persönlich wage zu bezweifeln, dass Herr Finscher von der Existenz eines
"Institutes für Musik und Akustik" am ZKM Karlsruhe - um nur eines der
weltweit bekannten deutschen Forschungs- und künstlerischen Wirkungsstätten zu
nennen - überhaupt schon Kenntnis zu nehmen sich herabgelassen hat). Über eine
sinnvolle Integration der Medien in jedwelche Art von Musikwissenschaft, einer
medientheoretischen musikwissenschaftlichen Auseinandersetzung wurde komplett
geschwiegen. Statt innovativem Geistern waren stattdessen (immer noch)
Studenten zu sehen, die in Outfit und Habitus einem Alban Berg erstaunlich
nahe kamen, ihren Adorno mehr als nur verinnerlicht hatten und durch eloquente
Wortschwälle zu beeindrucken suchten.


Antworten auf die von dem Kongress in den Raum gestellte

> Frage nach "Umfang, Methode und Ziel
> der Musikwissenschaft" auf der Schwelle ins neue Jahrhundert

bestanden in der Beschäftigung mit vordergründigem Personenkult (der bis hin
über die Vertreter der Musikwissenschaft selbst am Frühstückstisch ausgeweitet
wurde), Geschichtchen über Geschichten statt notwendiger musikalischer
Grundlagenforschung und wissenschaftlichem Feuilleton statt
diskussionswürdiger Musiktheorie. Erschreckend war geradezu ein
methodologisches und wissenschafttheoretisches Vakuum.


Diese Beobachtungen decken sich - wenn auch in anderer Weise - durchaus mit
denen des FAZ Autoren, wenn er als Beweis für die

> längst überfällige Überwindung dieser Kluft,

der Kluft

> zwischen historischer und systematischer Musikwissenschaft,

die

> auch eine Abkapselung der einzelnen Gebiete 

entstehen liess,

> die Anwesenheit des großen weisen
> Mannes der Musikethnologie, des mittlerweile achtzigjährigen Ki Mantle Hood
> (MarylandIUSA)

bewertet. Besser kann der vorherrschende Personenkult der deutschen
historischen Musikwissenschaft nicht mehr belegt werden.


Der Autor der FAZ irrt jedoch, wenn er bemerkt:

> Nun allerdings müssen die Weichen für die Aktualität und den Fortbestand
> der Disziplin für das nächste Jahrhundert neu gestellt werden, was aus
> wirtschaftlichen Gründen zur Zeit nicht leicht fallen dürfte.

Es sind hier weniger die "wirtschatflichen" denn die "wissenschaftlichen"
Gründe, welche die Weichen in Richtung Abstellgleis stellen. Innerhalb der
weltweiten musikwissenschaftlichen Landschaft ist der GfM in ihrem
gegenwärtigen Zustand als Vertreter einer gesamten deutschen Musikwissenschaft
jegliche Relevanz abzusprechen: sie ist ein taubes und blindes Fossil das
dringend einer inhaltlichen Umstrukturierung oder ihrer Abschaffung bedarf.


Joachim Stange-Elbe

-- 

Dr. Joachim Stange-Elbe

Universität Osnabrück, FB 3
- Forschungsstelle Musik- und Medientechnologie -

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Tel. / Fax. (priv) +49-541-46003